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Borgward - Chronik einer Pleite

 

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1960

Mit einem Marktanteil von 9% bei 102.000 in der Bundesrepublik verkauften Automobilen der Borgward-Gruppe (Borgward, Lloyd, Goliath) liegt der Konzern an dritter Stelle der Rangliste, hinter Volkswagen und Opel, aber noch vor Ford und Daimler-Benz. Vor allem mit der Borgward Isabella kann sich der gutsituierte Mittelstand ein technisch modernes Fahrzeug mit unverwechselbarem Design leisten. Der Verkaufspreis liegt unter dem der vergleichbaren Modelle der Konkurrenten. Für viele Arbeiter Ist der Lloyd Alexander der Einstieg in die automobile Fortbewegung.

Doch die Konzern- und Finanzierungsstruktur sollte sich als problematisch erweisen. Drei voneinander unabhängige Produktionsgesellschaften nebst zwei konzerneigenen Zulieferbetrieben entwickeln und produzieren mehr als 15 Modelle vom Klein- bis zum Diesellastkraftwagen. Die hohen Entwicklungskosten verschlingen unverhältnismäßig viele finanzielle Mittel. In der Absatzkrise vom Sommer 1960 rächt sich, daß eine rationelle Massenfertigung mit dieser Produktvielfalt nicht möglich ist. Vor allem der Export in die USA bricht ein und die neue Lloyd Arabella kann nur mit Stückverlusten verkauft werden weil ihr der Ruf von Konstruktionsmängeln anhaftet.

Die finanzielle Basis ruht allein auf dem privaten Eigentum von Carl F. W. Borgward und teuren Lieferantenkrediten. Auf einem Gesellschaftskapital von 15 Mio. DM lasten das 10-fache an Lieferantenverbindlichkeiten. Diese können bei rückläufigen Verkaufszahlen nicht mehr bedient werden. Borgward hat nahezu keine Verbindung zu Geschäftsbanken. Womöglich hatte er ihnen nie verziehen, daß sie 1948 den Aufbau seines Werkes nicht durch Kredite unterstützen wollten. Mahnungen seines Finanzdirektors Otto Carstens Geld am Kapitalmarkt durch die Gründung einer Aktiengesellschaft zu beschaffen folgt er nicht. Auch verfügt er über keine politischen Verbindungen. Mit undiplomatischem Auftreten, das als arrogant und überheblich empfunden wird, stößt er in Bremer Senat und Bürgerschaft mit Finanzsenator Wilhelm Nolting-Hauff und Wirtschaftssenator Karl Eggers wichtige Entscheidungsträger vor den Kopf. Als Sohn eines Kohlenhändlers aus einfachen Verhältnissen stammend, war er nie Bestandteil Bremer Gesellschaftskreise geworden. Persönliche Aversionen werden die Entwicklung  entscheidend belasten.

Oktober 1960

Auf Vermittlung des Bremer Senats erhält die Borgward-Gruppe ein Grundschulddarlehen in Höhe von 50 Mio. DM. Zwei Redakteure des Nachrichtenmagazins Der Spiegel besuchen ihn und seinen Finanzdirektor in seiner Villa. Borgward hofft, die geplante Reportage könne den Besorgnissen in Käuferschaft und Händlerkreisen entgegensteuern. Die Journalisten sollen sich mit der Versicherung verabschiedet haben, "daß aus jeder Zeile ihre Bewunderung für ihn hervorgehen werde".

10.11.1960

Carl F. W. Borgward wird im Auftrag der Bundesregierung durch den Bremer Wirtschaftssenator Karl Eggers anläßlich seines 70. Geburtstages das große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Fünf Jahre zuvor hatte er bereits das große Bundesverdienstkreuz erhalten. Ein Bankier bezeichnet den Empfang im Bremer Parkhotel vor 800 Gästen als die "größte Gläubigerversammlung", die er jemals gesehen habe.

Ende 1960

Aus Bankenkreisen wird bekannt, daß Carl Borgward nun doch versucht seine Unternehmensgruppe durch die Umwandlung von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft zu retten. Leitung und Eigentum sollen getrennt, neue Kreditquellen erschlossen werden. Der Versuch scheitert, da die steuerliche Mehrbelastung vom Unternehmen nicht hätte getragen werden können und keine Bank bereit ist sich an einem Emissionskonsortium zu beteiligen.

14. 12. 1960

Im Spiegel erscheint die Titelgeschichte unter der Überschrift "Der Bastler". Borgward betreibe seine Firma ohne kaufmännischen Sachverstand als Hobby "aus reiner Lust am Basteln" und entwickele und baue Autos "an denen sich sein Schöpfer mit kindlicher Freude" begeistere. Details der finanziellen Schieflage werden erstmals mit konkreten Zahlen lanciert.

19.12.1960

Carl Borgward ersucht den Bremer Senat um eine Bürgschaft und einen Kredit über 30 Mio. DM im wesentlichen von der Bremer Landesbank mit der Ankündigung andernfalls könne er vor Weihnachten keine Löhne mehr zahlen. 20.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel und damit mehr als 20%  der Industriearbeiter des Stadtstaats Bremen vor einer ungewissen Zukunft. Die Auszahlung der ersten beiden Raten über je 10 Mio. DM verschaffen eine Atempause. Wirtschafts-, Finanzsenator und der Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen bereiten indessen die Übernahme des Borgward-Konzerns durch das Land Bremen vor. Im Weihnachtsurlaub in den Schweizer Bergen ahnt Carl Borgward was auf ihn zukommt. "Die wollen mich fertigmachen" sagt er unter Tränen zu seiner Familie.

30.1.1961

Der Bremer Senat gibt dem Druck der Öffentlichkeit nach und verkündet in einer Pressekonferenz die Zahlungsunfähigkeit der Borgward-Werke und zieht gleichzeitig seine Bürgschaftszusage über die letzte Rate in Höhe von 10 Mio. DM zurück. Zu einer Auszahlung im Februar kommt es deshalb nicht mehr. Aus der Tagesschau erfährt Carl Borgward, daß sein Unternehmen zahlungsunfähig sei.

4.2.1961

In einer 12-stündigen Verhandlung wird Carl Borgward dazu gedrängt, seine Firmengruppe dem Bremer Senat entschädigungslos zu übereignen. Er darf seine Werke nie wieder betreten.

Der Bremer Senat gründet mit 50 Mio. DM eine Auffanggesellschaft und betraut den Wirtschaftsprüfer Dr. Johannes Semler mit der Sanierung der Borgward-Werke. Mit seiner Strategie, Verkauf eines Teils der Werksanlagen, Bundesaufträge und -bürgschaften und Vereinfachung der Unternehmensstruktur, hatte  er bereits zuvor Henschel und BMW retten können. Dennoch blieb seine Berufung Kern einer "Dolchstoßlegende". Hatte er als CSU-Mitglied und Aufsichtsratsvorsitzender der immer noch kriselnden Bayerischen Motoren Werke überhaupt ernsthaftes Interesse an der Rettung des Konkurrenten Borgward im fernen Bremen?

In die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat werden Mitglieder aus der Bremer Wirtschaftsverwaltung, den Parteien und Gewerkschaften berufen. Keiner besitzt die Branchenkenntnisse, die die notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen und die Ankurbelung des Absatzes erfordern würden. Eine Aufnahme von Carl Borgward in den Aufsichtsrat lehnt der Bremer Senat als "störend" ab. Borgward erhält eine bis zum 30.6.1961 befristete Rückkaufoption für sein Unternehmen.

Frühjahr 1961

Die Gewerkschaftsmitglieder im Aufsichtsrat blockieren die Entlassung von Mitarbeitern, so daß es trotz gedrosselter Produktion kaum zu Kostensenkungen kommt. Spezialisten aus den Bereichen Konstruktion und Entwicklung wandern zur Konkurrenz ab. Materialknappheit aufgrund der Zurückhaltung der Lieferanten behindert den reduzierten Produktionsablauf zusätzlich.

Zwar kaufen nicht wenige Enthusiasten sich einen zweiten Borgward auf Vorrat und Ersatzteilspender. Jedoch ist das Vertrauen weiter Käuferschichten in die Marke Borgward dahin. Der Bestand von 14.000 Autos, die im Januar unverkauft auf den Werkswiesen standen, kann bis zum Sommer nicht einmal halbiert werden, trotz Werbekampagne und Händlerrabatte. Vom Bund kommen keine Kaufaufträge obwohl Borgward über große Erfahrung im Bereich von Militärfahrzeugen verfügt. Bei der CDU-Regierung in Bonn mit einem bayerischen Verteidigungsminister Franz Josef Strauss besteht kein allzu großes Interesse an der Rettung eines Unternehmens im SPD-regierten Stadtstaat. Den Untergang eines Unternehmens hält man in der Wirtschaftswunderzeit ohnehin für eine normale Marktbereinigung.

Sommer 1961

Dr. Semler fordert weitere 50 Mio. DM zur Sanierung des Unternehmens. Gerüchte werden laut, der Bremer Senat denke nun an eine Liquidation. Die Chancen, das Unternehmen als Ganzes zu veräußern sinken daraufhin auf Null. Auch Interessenten an Unternehmensteilen warten nun darauf, bei einer Zerschlagung des Konzerns billiger einkaufen zu können.

5.7.1961

Weder Dr. Semler noch Borgward selbst finden einen Käufer, der das Unternehmen als ganzes übernehmen würde. Zunächst aussichtsreiche Gespräche mit Ford zerschlagen sich. Hoffnung kommt noch einmal auf, als sich die British Motor Company für Borgward interessiert. Als aber Vertreter der BMC am 5. Juli Carl Borgward persönlich die Absage mitteilen, steht so gut wie fest: das Unternehmen wird liquidiert.

28.7.1961

Dr. Semler und die drei Geschäftsführer von Borgward, Lloyd und Goliath stellen den Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens.

August 1961

Der Konkursverwalter Dr. Semler verläßt den Aufsichtsrat der Borgward AG nach nur acht Monaten. Für seine Tätigkeit erhält er 650.000 DM.

11.9.1961

Der Bremer Finanzsenator Nolting-Hauff lehnt eine Garantieerklärung auf Befriedigung von 35% der Gläubigeransprüche, die gesetzlich für ein Vergleichsverfahren vorgeschrieben sind, ab. Was bleibt ist der Antrag auf Eröffnung des Anschlußkonkursverfahrens, das endgültig die Zerschlagung bedeutet, für die Borgward- und Goliath-Werke am 11.9.1961. Das Konkursverfahren wird 1969 beendet. Am Ende werden die Forderungen der Gläubiger zu 100% befriedigt. Ein noch nie da gewesener Vorgang in der deutschen Industriegeschichte und einer, der sich wohl auch nicht mehr wiederholen wird.

25.11.1961

Nun auch der Antrag des Anschlußkonkursverfahrens für die Lloyd Werke. Zuvor hatte Siemens Immobilien und Maschinen für 29,8 Mio. DM übernommen. Ende des Verfahrens 1966.

28.7.1963

Carl F. W. Borgward stirbt im Alter von 73 Jahren an einem Herzinfarkt.

12.12.1966

Der Spiegel schreibt: "Borgward wurde voreilig in den Konkurs getrieben".

Epilog

Carl Borgward sagte "Das hätte alles nicht so kommen müssen". Trotzdem war das Ende unvermeidlich, verdeutlicht doch der Ablauf wie ein Prozeß in Gang kommt, sich verselbständigt und sich letztendlich nicht mehr aufhalten läßt.

Der Mythos Borgward besteht auch 48 Jahre nach dem Untergang der Marke weiter und das nicht nur als Fiktion im Roman "Borgward lebt - Auferstanden aus Intrigen" von Andreas A. Berse.

Ein Borgward-Museum soll in Bremen entstehen. Die Initiatoren sehen sich  als "lokalpatriotische Investoren". Erklärte Oldtimer-Experten sind sie nicht. Das Konzept und die Finanzierung der Ausstellung sind weitgehend offen. Der Bremer Senat hat bislang wenig Interesse erkennen lassen dieses Projekt der Dokumentation Bremer Industriegeschichte zu fördern.

Christian Borgward, der Enkel des Firmengründers bemüht sich seit Jahren um die Wiederbelebung der automobilen Produktion unter gleichem Namen im Luxussegment. Doch wie soll das gelingen, wo es selbst ein großer Konzern wie Daimler-Benz mit dem Namen Maybach nur zu mäßigem Erfolg bringt? Die gegenwärtige Wirtschaftskrise macht das Vorhaben nicht gerade einfacher

War schon der Untergang von einer Verkettung vieler Widrigkeiten begleitet, so sind es auch alle aktuellen Bemühungen. Egal ob Filmschauspieler, Westernheld oder Automarke: die Entstehung einer Legende verlangt ein tragisches Ende in der Blütezeit und sie lebt wohl nur solange sie tot ist.

Letzte Aktualisierung: 25.06.2009

Gut gewollt ist das Gegenteil von gut gemacht (unbekannt).

Links zum Thema:

"Der Bastler", Spiegel-Artikel vom 14.12.1960

"Hüter des Hauses", Spiegel-Artikel vom 12.12.1966

"Zu gut für seine Zeit", Artikel aus der Zeit vom 13.05.2004 über die Geschichte der Borgward-Pleite

"Schwarzer Februar", Meinung und gesammelte Pressestimmen im privaten Internetportal zur Borgward-Pleite

Artikel zur Borgward-Firmengeschichte in Wikipedia

Ergebnis der Bildersuche zu Borgward in Google

Das virtuelle Borgward-Museum  des Motor-Journalisten Peter Kurze:Ein virtueller Rundgang  im Jahr 1960 durch die Werkshallen in Bremen Sebaldsbrück

Endlich ein reales Borgward-Museum?

Die Sammlung Kröll ist in Bremen angekommen. Die Seiten der Borgward-Sammlung

Was wird aus dem Projekt Borgward-Museum? Artikel der Auto-Bild vom 12.01.2004

Internetportale der Borgward-Enthusiasten:

Borgward Interessengemeinschaft Deutschland

Lloyd-Motoren.de

Was wäre wenn ... Borgward vor der Pleite gerettet worden wäre?

Borgward lebt - Auferstanden aus Intrigen

Warum, wie, wo und mit wem all das erzählt der von Christian Borgward, dem Enkel von Carl F. W. Borgward, autorisierte Roman des renommierten Magazin-Journalisten und Autors Andreas A. Berse in einer Mischung aus Krimi, Liebesgeschichte und  Gesellschaftsbeschreibung vor dem Hintergrund automobiler Historie und Fiktion

Christian Borgward, Enkel des Firmengründers will die automobile Produktion wieder aufnehmen.

"Kehrt Borgward so zurück?", Artikel der Autobild vom 24.03.2005 auf dem Internetportal der Brunner GmbH Stockstadt

"Borgward drängt zurück auf die Straßen", Artikel der Welt vom 17.01.2008

Letzte Aktualisierung: 25.06.2009

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